Dienstag, 25. Juni 2013

Rückenschmerzen sind Demenz?

Heute meinte eine der gewohnten Pflegerinnen meines Verwandten zu mir: Er ist total dement! Er sagte er hätte Rückenschmerzen und wollte eine Rückenmassage. Tremolo in der Stimme.
Ich unterdrückte ein Lachen. Bis vor drei Jahren hatte er eine Frau, einen Dienstboten für sich, die gewohnt war ad hoc derartige Wünsche zu erfüllen. Ausserdem gab es im Augustinum neben dem Schwimmbad eine gute Physiotherapie/Massagepraxis, ein derartiges Ansinnen finde ich daher ganz normal.
Tja, wie ist das denn mit der Demenz? Die Gerontotherapeutin in der Blindenwohnstätte meint: Er hat Ausfälle, Gedächtnisstörungen, aber Alzheimer sieht anders aus.
Ich mach da meine eigenen Erfahrungen. Wiederkehrende alltägliche Dinge mag mein Verwandter sich nicht mehr merken, aber Nachrichten schon. Er weiss, dass Obama in Berlin war und dass es ein böses Hochwasser gegeben hat. Blind irrt er sich manchmal in Sachverhalten oder Personen. Vergangenes weiss er bestens.
Oft merke ich: Nicht er irrt, sondern ich. Es gibt einen Inder in der Blindenwohnstätte, der hiesse Wotan, meinte er. Ich meinte er hiesse Gotam. Es stellte sich heraus, der Inder heisst tatsächlich Wotan. Mein Verwandter behauptete, es gäbe einen zweiten Inder in der Blindenwohnstätte. Ich meinte, das wäre schlecht möglich, mein Verwandter irre wohl. Bis ich den zweiten Inder traf, einen Pfleger namens Jonny.
Mein Verwandter erzählte häufiger von den ungarischen Pflegern. Ich wies zig Mal darauf hin: Er irrt, eine ungarische Leiharbeiterkolonne gab es in einem Krankenhaus. In der Blindenwohnstätte gäbe es keine Ungarn! Dann kam ich dahinter, die Pflegerin meinte, sie sei aus Serbien, aber früher war das Bosnien. Ich scherzte, das war mal für mich Jugoslawien. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es gab das Königreich Österreich-Ungarn und Herzegowina-Bosnien gehörte dazu. Ungarn war ein Verbündeter Deutschlands im Krieg. Den Akzent kennt mein steinalter blinder Verwandter von damals. Also hat er Recht mit "Ungarn" in der Blindenwohnstätte. Beutedeutsche schimpft er manchmal, z. B. wenn sie ihm wieder keinen Rasierapparat gegeben haben. Danach zu fragen, das vergisst er häufig.
Es bleibt schwierig.

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