Freitag, 19. Juli 2013

Unnötige Schmerzen

Und wieder fahr ich zur Blindenwohnstätte. Wieder treffe ich auf Leasingarbeiterinnen, die ich irgendwann schon mal im Haus gesehen habe. Es ist die Nachmittagsschicht. Mein Verwandter ist geduscht, schlecht rasiert, im Bad fehlt sein Duschgel und sein Shampoo, beide fast neu... Er jammert, ihm tut die Bauchdecke weh. Ich schau nach, kein Verband auf dem Cystofixschlauch. Ich geh zum Schwesternzimmer eine Etage höher, bemängele die Schmerzen. Die Pflegerin meint, sie hätte den Verband doch gestern gewechselt. Ich sag: Da ist kein Verband! Sie sagt: Ach, ich weiss schon, ich komme bald... Eine halbe Stunde später verteilt sie Augentropfen, desinfiziert das Loch im Bauch meines Verwandten, meint, der Urologe hätte den Cystofixkatheter heute gewechselt. Das Desinfektionsspray brennt höllisch, mein Verwandter jault mehrfach auf. Es ist nicht das vorgeschriebene Kodanspray, es ist eine anderes Desinfektionsspray. Er bekommt endlich, abends, wieder einen Verband auf die Wunde. Danach ist es besser.
Das Shampoo finde ich später im Gemeinschaftsbad, das Duschgel bleibt verschwunden.
Wer hat denn da heute morgens wieder gewerkelt? Laut Kladde die Serbin aus Bosnien. Mein uralter Verwandter schimpft: Das waren die Ungarn, die Beutedeutschen. Ausländer in der Altenpflege klappt schlecht.
Ich koch Kaffee und Tee, geb meinem Verwandten mitgebrachten Kuchen, die Leiharbeiterin verteilt Abendbrot. Ich hol meinem Verwandten das, was er möchte. Ich les ihm vor, wir hören Radio. Er sagt, gestern hatte ich zum Mittagessen Eier in Senfsosse und heute Szegediner Gulasch. Beides war gut, es hat gemundet. Gewogen haben sie ihn, er wiege 74,1 Kg (er ist 1,80 m gross). Erstaunlich präzise ist der angeblich soooo Demente. Mir ist er zu dünn. Aber das Haus meint ja sein Body-Mass-Index sei besser als bei den anderen Bewohnern. Tja, ich komm ja täglich ihm helfen. Mobilisierende Pflege bedeutet, sie schaun den Alten beim Essen zu, geholfen wird nicht!
Die Leiharbeiterin möchte das Geschirr zurück. Ich sag: Das ist hier ein Irrenhaus geworden und keine Blindenwohnstätte mehr.
Sie sagt, sie kommt mit der Arbeit nicht klar, die Bewohner hätten zu viele Sonderwünsche. Naja, sie war vor Wochen mal im Haus, wie soll sie sich da einarbeiten? Ihren Namen hab ich inzwischen vergessen. Das ist bei fast täglich wechselnden Leasingkräften auch unnötig sich den Namen zu merken.
Wenn man Heimbewohner ist und niemanden hat, der einem hilft, dann steht es schlecht ums persönliche Wohlergehen. Man ist verraten und verkauft.
Mein Verwandter sagt täglich: Schön, dass Du kommst. Frei hab ich nie.

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