Dienstag, 21. Februar 2012

Die Leute gehen zum Sterben hin

Die Leute gehen zum Sterben ins Augustinum, sagte mein Verwandter mehrfach. Er erzählte von einer Veranstaltung vor geraumer Zeit im Theatersaal, da meldete er sich zu Wort, das Augustinum erinnere ihn an einen Film: "Im Tal des Todes". Eine Herde alter Elefanten verkroch sich zum Sterben in einem Vulkankrater, im heissen Schlamm und dann kamen auch noch die Leichenfledderer und brachen den Elefanten die Elfenbeinstosszähne aus. Er sagte, dass die eine Hälfte der Anwesenden empört war und die andere Hälfte ihm zustimmte.
Nun ist das ja Mist 14 Jahre im Augustinum zu leben, auf den Tod zu warten, wie "Warten auf Godot" und man wollte dort gar nicht einziehen, sondern der verstorbene schwerbehinderte Ehepartner. Viel passiert in der Zeit, man wird blind, die dort geschlossenen Freundschaften sind inzwischen verstorben, man wird in den Demenztreffpunkt abgeschoben, weil die Beine nicht mehr so gut wollen und man blind ist...
Man findet keine neuen Freunde, geschweige denn eine neue Frau und verliert so langsam die Lust am Leben. Blind findet man sich im Augustinum nicht zurecht und braucht viel Hilfe, die man eigentlich von der Familie nie in Anspruch nehmen wollte. Hilfe, die das Augustinum nicht gibt, weil sie keine Blindheit erkennen. Sie sind, wenn überhaupt, auf Demenz geeicht. Die Rente reicht nicht für die Wohnung, zu gross geworden, aber mit 90 Jahren findet man sich blind schwer in einer anderen Wohnung zurecht. Das ist schon gemein, da möchte man aufgeben. Die im Augustinum gebotene Ablenkung oder Zerstreuung beim Warten auf den Tod kann man blind schlecht nutzen.
90 Jahre alt zu werden war sein Ziel, das hat er mit meiner Hilfe erreicht.
So, und nun, wie weiter? Wo ist ein neuer Lebensinhalt oder Sinn? Zur Zeit kann ich keinen für ihn erkennen.
Seine Frau meinte, es sei schön in der Wohnung gepflegt zu werden bis zum Tod. Sie erkannte, dass das für sie nicht zutraf und verstarb schliesslich, besser behütet und umsorgt und versorgt, in einem Krankenhaus.
Und als die Russinnen ihn im Augustinum versorgen kamen, da fragte ich ihn, wo der Unterschied zwischen seiner mehrjährigen Kriegsgefangenschaft in Russland und dem Augustinum ist. Er sagte: In Russland liefen die Hunde am Zaun. Und sprach viel in russischer Sprache... Die missliche Vergangenheit hatte ihn eingeholt.
30 Stunden hab ich ihm vorige Woche geholfen und kann ihm doch im Augustinum nicht helfen.
Würd er sagen, es geht ihm nicht gut, dann würden sie ihm einen Psychologen schicken.
Und notieren in ihrer Akte: Bewohner geduscht, Bewohner fühlt sich wohl...
Und er träumte immer von einem Lebensabend in einem ganz normalen Heim, am liebsten beim Deutschen Roten Kreuz.

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