Sonntag, 12. Februar 2012

Neue Stolperfalle

Kurz nach 15 Uhr ruf ich an und fahr los zum Augustinum.
Im Schliessfach angekommen, krieg ich einen Schreck, das Telefonkabel liegt als grosse Schlaufe im Raum vor dem Sessel und der weisse Stock ist darin. Bleib bloss sitzen, sag ich ruhig, mach keine Bewegung, und ich beseitige die neue Stolperfalle. Der Tisch ist voller gebrauchter Servietten, im Bad liegt ein Waschlappen auf der Erde...
Ich koch Kaffee, wir unterhalten uns, ich frage im Bezug auf die mögliche Individualbetreuung: Wer vom Pflegepersonal behandelt Dich korrekt nach den Regeln des Allgemeinen Blindenvereins? Antwort meines Verwandten: Keiner. Alle sind nett, aber Blindheit ist hier unerwünscht.
Nun er ist hier gut ausgebildet worden:
http://www.absv.de/
Damit hat sich das Thema Individualbetreuung wohl erledigt.
Ich mach meinen Angehörigen rollstuhlklar, roll ihn zum Empfang, dann durch das Foyer, wir probieren den Bechsteinflügel im grossen Speisesaal. Ich spiel Chopinwalzer und eine Etude von Carl Czerny, der Bechstein hat eine kleine Macke, ist aber um etliches besser als der Steinway im 4. Stock. Mein Verwandter amüsiert sich.
Wir fahren mit dem Fahrstuhl nach oben. Die Bücherei ist klasse, sehr interessant. Eine alte Dame frag ich, ob sie sich durch uns gestört fühle. Nein, sagt sie, sie sei schwerhörig. Also kann ich weiter erklären.
Wir rufen dann die Nachrichten, Zeitungen am Computer ab. Mein Verwandter lernt computern, versteht die gesamte Tastatur, Maus etc. Bundespräsident Wulff haben Demonstranten einen Stuhl vor die Tür gestellt, die Griechen schimpfen uns Deutsche Oberlehrer und Nazis und Whitney Houston ist gestorben, fast halb so alt wie er. In Neukölln lagen in einer Wohnung Menschenknochen. Er versteht alles und es interessiert ihn sehr.
Wir sind unterwegs durch die langen Gänge im Haus der gepflegten Langeweile. Treffen zufällig Pfleger die alle: Hallo Herr Sowieso sagen. Keiner sagt, wer er ist. Namenlose Pfleger, ohne Identität, manchmal lassen sie ihn raten: Hallo, wer bin ich.
Wir gehen zurück. Ich mach Abendbrot, räum auf, wasch ab.
Die Pflegerin zum Augenträufeln kommt. Ich bitte sie um einen Besuch der Augenärztin aus Zehlendorf, weil er ständig kneistet und sich die Augen reibt. Das macht er sonst nicht. Sie notiert den Wunsch.
Die Glühbirne in der Stehlampe geht kaputt. Er merkt das nicht. Er lebt im Dunkeln. Ich tausche die Birne aus. Suche im Flur nach der Klingel in den Einbauschränken mit Leiter. Vergeblich. Die Klingel ist unter Putz über der Wohnzimmertür, weit von der Klingel aussen entfernt. Einen Schalter zum Abstellen gibt es nirgends.
Sollte der nächtlich Klingelterror weitergehen, setz ich mich nachts an die Tür, mach denjenigen dingfest und rufe die Polizei, 110. Ab zum Amtsarzt. Eine Einweisung in die Landesnervenklinik müsste dann angebracht sein für diese Person.
Im Haus gibt es für 160 Pflegefälle nachts zwei Pflegekräfte. So kann man als dementer, fieser, alter Mensch 1 Jahr lang die Mitbewohner nachts stören. Ob 2 Kräfte für ca. 160 Pflege benötigende Menschen (das wurde mir so erzählt) eine gute Quote sind, das ist ein anderes Thema. Wenn die Zahlen stimmen, dann möchte ich lieber in die WG bei mir in der Nähe. Dort gibt es für 16 Menschen tagsüber zwei Kräfte und nachts eine. Ich brauch kein Ambiente wenn ich alt bin, ich brauch Zuwendung.
Die Dokumentation der Pflege soll sehr gut sein. Auch darüber hab ich inzwischen eine Meinung. Ich sehe, worauf sie sich bei der Pflegedokumentation konzentrieren.
Ich sorge für die Wärmflasche, sag zu meinem Verwandten: Und damit verabscheue ich mich bis morgen und er antwortet scherzhaft: Bis neulich.
Morgen wollen wir den Loriotsketch "die Nudel" proben. Das wird lustig, das muntert auf.
Um 20 Uhr 20 bin ich wieder zu Hause.

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