Samstag, 11. Februar 2012

Tag für Tag

Immer dasselbe, täglich. Ich ruf an, eben war eine Pflegekraft da, hat gefragt, ob sie ihm Kaffee kochen soll, sagt mein Verwandter. Er hat gesagt ich komme, wir trinken zusammen Kaffee. Sie hat das so in ihrem Computer, muss das abarbeiten, was gefordert ist. Den Kaffee hatte ich mehrfach abbestellt. Vor Wochen, vor Tagen. Ich mag nicht in Rechnung gestellt bekommen, was ich nicht bestellt habe.
Ich fahr ins Augustinum. Die Verwandtschaft ruft an, ja, wir sind eine Familie, haben gute Kontakte.
Ich schieb meinen Verwandten mit Rollstuhl ins Cafe-Restaurant, wir haben Kaffee, Kuchen, Unterhaltung. Mein Verwandter geniesst dies. Wir holen dann seinen Kontoauszug beim Drucker, drehen eine Runde, reden mit dem Empfang und ich lass den Blinden die ausgestellten Figuren, moderne Kunst, anfassen, begreifen.
In seinem Schliessfach angekommen mach ich Abendbrot und den Haushalt. Ja, Kühlschrank hab ich auch ausgewischt. Das macht niemand sonst.
Dann kommen die lila-weiss uniformierten Pflegekräfte mit ihren Computern und den ständig eklig klingelnden und vibrirenden Handys, die sie drücken müssen. Es sind keine Menschen, es sind Roboter, freundlich, geschäftsmässig. Pflegeroboter halt. Ich versuch den Nachmittagskaffee aus diesem Computerroboterprogramm entfernt zu bekommen.
Beim Ausziehen landet mein Verwandter unsanft im Sessel und schreit auf. Der Gammanagel im Oberschenkel von der Halsfraktur schmerzt ihn sehr. Tja, Geschäftsrisiko. Aber nun ist er im Schlafanzug.
Ich frag den Pflegeroboter: Wie vielen Menschen müssen Sie abends in den Schlafanzug helfen? Antwort: So zwanzig hab ich auf der Liste, mehr als zwanzig.
Die Pflegeroboter düsen auf Tretrollern und Fahrrädern durch das Haus, durch die ellenlangen Korridore und Verbindungen, die sie idiotischerweise "Knoten" nennen.
Ich mach den Bürokram, bearbeite den Beihilfeantrag, der Empfang verkauft mir eine Briefmarke für den Grossbrief...
Das ist sehr guter Service.
Ich geh mal einen anderen Gang lang zurück zum Schliessfach.
Aus einem anderen Schliessfach im Haus der gepflegten Langeweile und der vielen langen Gänge schreit mal wieder jemand laut. Es gibt immer wieder Apartments, aus denen täglich über lange Zeit geschrien wird. Ich vermute dies liegt am selbstbestimmten Leben im Alter der Bewohner. Wenn einer keine Medikamente will, dann schreit er halt. Es ist wie mit dem nächtlichen andere Bewohner mit Klingeln aus dem Schlaf reissen. Wenn der Geist nicht mehr mitmacht, dann pflegt das Augustinum weiter nach den Wünschen der Bewohner... Geschütztes Wohnen wär besser. Umsorgt möcht ich im Alter sein und nicht selbstbestimmt leben müssen, wenn ich vergesslich werde und Fehlschlüsse in der Birne habe.
Das Augustinum ist wie antiautoritäre Erziehung im Alter. Das bringt nichts. Unter fürsorglich versteh ich etwas anderes. Früher gab es Fürsorgerinnen, heute Sozialarbeiter. Fürsorgerinnen waren besser.
Um 21 Uhr verlass ich den Parkplatz von Neu-Wandlitz und bin um 21 Uhr 30 zu Hause.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen