Montag, 2. Juli 2012

Blitzschlag

Ich fahr zurück, gleich in die Blindenwohnstätte und erlebe einen ereignisreichen Abend. Der Fahrstuhl ist kaputt, ich muss die vielen Sachen, die ich im Auto brachte, die Treppen hoch tragen. Mein Verwandter freut sich. Wir setzen uns auf den Balkon, eine Amsel singt, wir erzählen uns gegenseitig das Tagesgeschehen. Ich fülle ein niedliches Papier aus, gewünscht wird ein Lebenslauf, die Vorlieben und Abneigungen und Gewohnheiten meines Verwandten, so dass man sich besser auf ihn einstellen kann. Der Pfleger kommt um ihm bei der Abendtoilette zu helfen.
Mein Verwandter erzählt mir, gestern müssen sie gut gefeiert haben, es war sehr laut, da muss ein Feuerwerk gewesen sein. Der Pfleger sagt: Nein, es war ein Gewitter, der Blitz hat ins Haus geschlagen, den Fahrstuhl getroffen.
Ich sag: Sehn Sie, er ist nicht dement. Er ordnet nur aufgrund seiner Blindheit falsch zu.
Ich denke mir: Da hat jemand wohl im Augustinum bei Petrus bestellt: Die soll der Blitz beim ..... treffen und grinse über beide Ohren.
Wir besprechen die Fortschritte, die mein Verwandter macht, sie sind immens. Er isst problemlos selber mit den anderen Blinden, und dies sehr gut. Es sind die richtigen Voraussetzungen für ihn. Besser als im vornehmen Restaurant im Augustinum. Mit Platztellern, Klapperdeckchen, Bischofsmützen (ja, ich bin vom Fach!) etc. kann ein Blinder nicht umgehen.
Blinde bekommen einen Einweglatz, ein hübsches abwaschbares Platzset, schwere Gläser, Pötte, keine Untertassen (das geht nicht!) und essen unter Aufsicht. Man sagt z. B. an: Das Fleisch liegt heute auf der zwölf, die Kartoffeln auf der 9, das Gemüse auf der 3.
Das Augustinum hat Null Ahnung und Null Bock auf Blindenpflege.
Im Augustinum soll man sich an der Salatbar selber bedienen. Dies ist Pflicht. Auch das kann ein Blinder nicht. Der Verwandte sagte: Meist hat sich ein Mitbewohner erbarmt, als ich noch im Restaurant gegessen habe...
Im Blindenheim kann man auch kein Tremolo und Verschütten beim Suppe essen feststellen. Mein Verwandter meinte, es käme vom Schlaganfall.
Der Pfleger sagt: Das Zittern kommt von seiner Angst, die hat er auch beim Laufen aus Angst vor weiteren Stürzen. Sie begleiten ihn, führen ihn, beaufsichtigen ihn beim Laufen. Im Augustinum liess man ihn allein.
Mein Verwandter sagt: Er kann nicht mehr Klavier spielen wegen dem Schlaganfall. Der Pfleger sagt: Das wollen wir erst mal sehen.
Beim Gehen seh ich: In der Hauptstrasse ist ein Internetcafe. Da müssen wir dann mal unbedingt hin. Mein blinder Verwandter liebt Internet, den Umgang mit der Maus und ist ein begeisterter YouTuber, einer der ältesten YouTuber Deutschlands.

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